Überlandfestival in Görlitz

Mehr als gespannt machten sich eine Handvoll Stadtmenschen am 11. September auf in die östlichste Stadt Deutschlands. Denn in Görlitz erwartete uns das "Überland - Festival der Akteure" der Bosch-Stiftung mit jeder Menge spannender Workshops und Begegnungen rund um die Themen "Ländlicher Raum", "Neue Ideen" und "Gründertum". Weil so viel los war, dass das unmöglich in einen einzigen Text geklöppelt werden könnte, haben Susann, Maike, Yvonne, Janek und Christian jeder für sich ihre Eindrücke vom "Überland" zusammengefasst. 

So fand's Yvonne:

Wann hast du das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht? Für mich hielt das "Überland Festival" gleich mehrere erste Male bereit: Stadtmensch-zelten in der Gruppe, Schnitt & Schnittchen-Präsentation auf der Hauptbühne live, neue Leute anquatschen und nach ihren Projekten fragen, ein Speed-Dating freiwillig in Form eines "Erzähl mal's" vor laufender Kamera mit Marco Wanderwitz und ein Pop-up Stand mit allen Infos von uns und schnattern und netzwerken mit fremden Freunden. Puh, so viel!

Nicht zu vergessen die wundervolle Frühstücksrunde am frühen Morgen mit den Robert Bosch Stiftungs Leuten und das Ganze drei Tage im Freien am Stück! Dank Corona... Das alles hatte ich noch nie!!!

 

Und es war super krass! Eine geile Erfahrung mit wundervollen Projekten, krasser Energie, tollem Wetter, megacooler Musik ( für die, die nicht versucht haben zu schlafen ;) und einer geilen Blubberblase von "Wir verändern die Welt''-Luft. Bitte mehr davon!

So fand's Christian:

Die Sternstunde

In dem Workshop “Mit Jugendlichen Stadt machen” wurde schnell deutlich, dass wir in vielen drittmittelgeförderten Projekten inzwischen wahnsinnig viel Projektmanagementkompetenzen aufgebaut haben. Dies vor allem auch in der nachrückenden Generation. Die weitere Diskussion kreiste darum, wie wir dieses Pfund in die “alten” Verwaltungsstrukturen einspeisen können, ohne dass unsere Projekte zwar immer gern gesehen sind, aber eben doch bloß öffentlichkeitswirksame Aushängeschilder für Kommunen bleiben. Mein Standtpunkt war, dass öffentliche Verwaltung systemischer Reformen bedürfen (Transparenz statt Filz, Steuermittelzuwendungen bemessen an der Höhe eingeworbener Drittmittel z.B. durch Stadt- und Kreisverwaltungen etc., Verjüngung überalterter Beiräte öffentlich getragener Projekte/Kultureinrichtungen).

 

Dann kam der große Moment von Janek: In einem Fünf-Minuten-Statement beschrieb er, wie Jugendliche in Altenburg inzwischen verschiedene Vereinsgründungen hingelegt haben und mit dem kommenden Katalog der Handlungsempfehlungen von “Jung & Naiv” nun weiter ihren Weg gehen. Und dass diese Jugendlichen inzwischen auch gar nicht mehr “Mediatoren” zwischen sich und den Verwaltungen benötigen, um sich verständlich zu machen, sondern längst selber voll handlungsfähig sind. Nach diesem Wortbeitrag war allen im Saal schlagartig klar, wie weit auseinander die Bubble unabhängiger, drittmittelgeförderter Innovationsprojekte auf der einen Seite und traditioneller Verwaltungsstrukturen auf der anderen Seite inzwischen liegen.

 

Danke, Janek, was für ein grandioses und für mich legendäres Statement!

 

Team Building

Zelten! Ich war mit meiner Tochter und ihrer Freundin angereist. Die beiden Grundschulkinder haben mich kraft Mehrheitsabstimmung aus unserem Zelt geschmissen und ich bin zum Glück bei Janek untergekommen. Außerdem gab es auf Betreiben der Kids eine auf nachts um zwei Uhr terminierte Verschwörung gegen uns, wie Janek und ich am nächsten Morgen erfuhren. Susann, die in ihrem Volvo-Kombi neben den Zelten schlief, hatten sie dazu als Komplizin angeheuert. Sie hatte sich dazu extra den Wecker gestellt! Um zwei Uhr nachts versuchte sie, die Kids wie verabredet wach zu kriegen. Doch die Saboteure schliefen ungeniert durch und Susann legte sich unverrichteter Dinge wieder schlafen. Tja, Revolutionen dürfen auch mal scheitern.

 

Es geht nicht ohne Politik

Drei Mal Altenburg im Speed-Dating mit Marco Wanderwitz. Warum können große Museums- und Kulturstiftung nicht nach dem Modell innovativer Stadt- und Regionalentwicklungsprozesse reorganisiert werden?, fragte ich Marco Wanderwitz. Sollte man hier nicht einen Wissens- und Kompetenztransfer vornehmen, wie neue Shareholdermodelle, Kreativtechniken und agile Arbeitsprozesse für die Organisationsreform von Kultur- und Museumseinrichtungen genutzt werden können? Vor allem vor dem Hintergrund, dass Museen ja gerne klagen, dass die junge Generation bei ihnen ausbleibt und sie an Relevanz verlieren? Der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und auch der Mitteldeutschen Schlösserstiftung (wenn sie denn kommt) täte ein solcher Wissenstransfer gut.

 

Best Practice

Räume!!! Das Kühlhausgelände in Görlitz darf sich über begnadete Gestalterhände freuen! Mit relativ einfachen, aber effektiven Mitteln wurden alte Industrieräume als Eventräume hergerichtet. Das Gelände hat weitere halboffene Bauten, in denen sich arbeiten, reden und einfach nur ein Getränk nehmen lässt, umgeben von Feuerschalen, Freiflächen und dem kleinen Campingplatz. #SWAG

 

Selbstkritik

Die Altenburg Stadtmenschen haben so viele Projekte unter der Haube, dass sich diese unmöglich alle in einen Projektvortrag pressen lassen. Trotzdem versuchen wir es immer wieder … Wie auch auf dem Überlandfestival am Samstagvormittag. 60 Minuten Hochdruckinformationsbetankung des Publikums. Uff. Danke an alle Zuhörer, dass ihr diesen Marathon mitgemacht habt!

So fand's Janek:

Zeitmanagement und Vorbereitung!

Unser Stadtmensch Projekt mit der Erlebe was geht gGmbH in 60 Minuten mit all seinen Facetten und Ankern zu erklären, das wird schwer. Erst recht, wenn sich eine fünfköpfige "Infektionsgemeinschaft" (#neuesWort) aus Stadtmenschen diese Zeit teilt. Dass uns dann anfängliche technische Schwierigkeiten noch einmal Zeit wegnehmen würden, war dabei nicht förderlich. Als der verantwortliche Techniker meine Worte: "Ach alles entspannt" hörte und mit "Hier ist nichts entspannt, wie kann man nur so entspannt sein?" antwortete, entgegnete ich bloß: "Ich kenne diese Menschen schon seit zwei, drei Jahren, da muss man einfach nur entspannt bleiben". In Rekordzeit und einen aufatmenden Team endete unser Vortrag pünktlich nach 60 Minuten und wir schauten in interessierte & begeisterte Gesichter- MEGA!

 

Zu viel Gemeinschaft!

Links am Sanitärgebäude auf dem Gelände des Kühlhauses sind die Duschen, wurde mir gesagt. Ohne Zweifel und große Fragen packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg zu den Duschen. Tür auf und WARTE (ratter ratter im Kopf), wieso steht da eine Frau? "Sind das hier Gemeinschaftsduschen?" - Sie: "Haben Sie ein Problem?" Ich: "Nein" und ging in eine Ecke, begann meinen Duschvorgang, trocknete mich wieder ab, föhnte Haare und verließ den Duschraum. Bei Susann am Volvo angekommen fragte sie mich: "Na wie wars?" ich antwortete: "Naja, war halt viel Gemeinschaft, eben ungewohnt". Am Abend traf ich am Sanitärgebäude die Frau von frühs wieder. "Morgen gehst du besser bei den Männern duschen", meinte sie. Ja verdammt, ich hatte die Duschen verwechselt! Ups...

 

Eine endlose Nacht

Über Musikgeschmack lässt sich streiten. Wo bei Wenzel und Band ein Teil des Festivals mit Klaus abgingen, waren Susann und ich um 23.30 Uhr bei Poly Ghost (auch wieder mit Klaus) begeistert und auf der Tanzfläche. Als nach einer Zugabe wirklich kein Lied mehr kam, war es schon kurz vor ein Uhr. Eigentlich gewillt, schlafen zu gehen, blieben wir an der Feuerschale hängen und und bei Bier und Cubra Libre sitzen. Gespräche mit Franziska Schubert (MdL Sachsen), Kühlhausmenschen und vielen weiteren großartigen Machern folgten - bis wir 2.30 Uhr dann doch den Rückzug in unsere Betten antraten.

 

Es war ein geniales Festival mit vielen tollen Menschen, Machern, Helfer*innen, Besucher*innen und Engagierten. Hierbei überzeugte nicht nur der großartig gestaltete Ort (Kühlhaus), sondern auch die Programmpunkte und deren Redner*innen. Für jeden, ob groß, ob klein, war etwas dabei und zu entdecken! Danke an die Robert- Bosch- Stiftung, das Kühlhaus Görlitz und allen Machern. Bis nächstes Jahr - vielleicht in Altenburg zum Überlandfestival #2. ;-)

So fand's Maike:

Du bist nicht allein!

Grad als kreativer Mensch mit einem, nennen wir es "unkonventionellen" Arbeitsalltag, war das Überland Festival und die Zeit in Görlitz eine Beruhigung. Im Sinne von: Keine Sorge, du bist mit Abstand nicht der einzige Mensch unter der Sonne, der gerne rumspinnt, Ideen entwickelt und Dinge bewegen will. Das Programm dicht gedrängt mit so vielen spannenden, mutigen und einfach "anders" gestrickten Projekten, dass mir irgendwann der Rauch aus den Ohren kam. Kopf voll! Dass ich mal keine Lust zum quatschen habe, kommt echt selten vor. In Görlitz genoss ich das Schweigen zwischendrin - genauso wie das aktive Erzählen erst auf der Hauptbühne als auch am späteren Nachmittag im "Zirkuszelt" auf Einladung von "Wir sind der Osten" (übrigens eine spannende Plattform mit jeder Menge cooler Ossis ;-)) Dass ich mit meiner Biographie des Westkinds goes Osten goes Westen und zurück in den Osten in keine Schublade so wirklich reinpasste, fand ich mega! Denn kreative Köpfe gibt's in der gesamten Republik - egal wo sie geschlüpft sind, hingezogen wurden oder freiwillig gegangen sind, finde ich. 

 

Fast wie in Altenburg ;-)
Anders als der Rest unserer Truppe verweigerte ich das kollektive Zelten und buchte mir in Görlitz City (was eine halbe Weltreise entfernt schien) ein Zimmer - zum Glück! Denn die Stadt ist nicht nur wunderhübsch und so ansehenswert, sondern die Pension "Zur Wartburg" auch ein sehr "stadtmenschlicher" Ort, den ich sonst nicht kennengelernt hätte. Mit zufällig stattfindender Kindersachenbörse (Tschüss, 40 Euro! ;-), "in house" Jugendcafé und Möbeln wie Geschirr, das von Jugendlichen mit besonderen Lebensläufen im "Lebenshof Ludwigsdorf" in Görlitz gefertigt wird. Fühlte sich sehr nach "uns" an! Sehr gemütlich dort und sehr herzlich dank der freundlichen Mitarbeiter. Da störte mich auch die Tingeltangeltour von der Unterkunft zum Kühlhaus und zurück so gar nicht. "Nur" fünf Kilometer entfernt und doch mit den Öffentlichen nur mit Ausdauer oder umfangreichem Fußmarsch zu erreichen. Doch das Festival war's wert und Görlitz erst Recht. Dankeschön für dieses eindrucksreiche WE!!!

Aber seht selbst!